Heimat

Ich liege im Bett und weine. Ich habe Heimweh. Aber anders als gedacht, liege ich nicht fern von meinem Zuhause in einem fremden Bett. Nein, ich bin bereits Zuhause. Ich bin in meinem Elternhaus, alles um mich herum ist mir vertraut und trozdem so fremd. Ich habe Angst. Ich habe Heimweh. Ich bin ein Kind. Diese Erinnerung ist sehr lange her, ich weiß nicht wie lange, aber sie war keine seltene Situation meiner Kindheit. Was bedeutet Heimweh? Heute weiß ich, dass ich mich nach einer Heimat gesehnt habe. Nach Geborgenheit. Einer warmen Umarmung. Warmen Kakao. Sicherheit. Raum um reden zu können. Nach einem Ort, an dem ich mich sicher fühle. Nach Mitleid und Vertrautheit. Ich liebe meine Familie und bin so stolz darauf, Teil von diesem verrückten Pack zu sein. Und trotzdem ist meine Familie Teil des Ursprungs meines Schmerzens. Es geht hier nicht um Schuld. Es geht nicht darum, was falsch gemacht wurde. Es geht lediglich darum, was die kleine Amy damals gefühlt hat und wonach sie sich geseht hat. Eine kurze Zusammenfassung meiner Heimat-Erkenntnisse aus den letzten 2 Jahren:

  1. Die warme Umarmung, die Liebe, welche ich mir als Kind gewünscht habe, die kann nur ich mir geben. Ich liebe es, geliebt zu werden. Aber jeder Mensch stirbt irgendwann, jeder ist mal nicht erreichbar, … Mein Zuhause kann also nicht IN EINEM ANDEREN MENSCHEN sein. Mein Zuhause ist in MIR.
  2. Alles was ich tue, um ein materielles und emotionales Zuhause zu haben, darf nicht an meiner einzig wahren Heimat kratzen. Damit meine ich, dass wenn mein Job, mit welchem ich Geld verdiene, um mir ein schönes Zuhause zu bezahlen, mich und meine Psyche so kaputt macht, dass ich mein eigentliches Zuhause verliere, bringt mir das nichts. Wenn ich immer alles für meine Familie und Freunde gebe (Zeit, Liebe, Aufmerksamkeit,…), dann darf dies nicht auf Kosten meiner eigenen Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit und Liebe sein.
  3. Die Depressionen lassen mich in mich kehren. In einer depressiven Phase habe ich keine Energie mehr für andere. Es reicht meist nur so gerade eben für mich. Die Depression erinnert mich daran wo mein Zuhause ist. Sie ist mein Warnsignal, dass ich evt. wieder zu viel für andere und anderes getan habe, anstatt auf mich und in mich zu hören.
  4. Wenn ich zu viel getriggert werde, verfalle ich in Selbsthass. Ich brenne mein eigenes Haus ab indem ich anfange, mich zu hassen. Ich hatte zwar Gemeinschaft mit anderen, war in meinem Elternhaus, aber vergesse dabei mein wahres Zuhause. Die Misophonie redet die Sprache meines inneren Kindes. Die Misophonie ist der Spiegel meiner Vergangenheit. Beginne ich mich selbst zu verurteilen und mich zu hassen, dann lasse ich den Hass gewinnen. Entscheide ich mich, meine Heimat zu lieben und zu bewahren, mache ich der Misophonie ein Kampfansage.

All diese Gedanken sind noch sehr frisch und schweben in meinen Gedankenkarussel mit. Vielleicht sehe ich das ganze also vielleicht in einem halben Jahr anders, aber zur Zeit beruhigt es mich, den Fels in meiner Brandung gefunden zu haben. MICH. Und lässt die Misophonie mich verlieren, dann ist der Zeitpunkt dringlichst gekommen, mich wieder meiner Heimat zu widmen.