Vier-Stufen-Entwicklung

Bei diesem Beispiel geht es um eine ganz typische Triggersituation wo ich den Lauf meiner Gefühle, ausgelöst durch zu viele Trigger (wenn ich gestresst bin reicht auch ein Geräusch) nicht mehr aufhalten kann. Es ist eine ganz typische Situation an die ich mich noch gut erinnern kann:

Ich bin bei Bekannten eingeladen. Keiner weiß über von der Misophonie und ich möchte dafür sorgen, dass das so bleibt. Wir sitzen alle etwas zusammegerückt an einem Esstisch. Zu Beginn kann ich die ersten Tiggerreaktionen kontrollieren, aber schnell merke ich, dass die Situation zu viel wird. Ich gehe ins Bad und versuche mich zu beruhigen. Ich esse schon lange ohne noch Appetit zu verspüren, aber das essen lenkt mich ab. Ich versuche mir zwischendurch, wenn sie ihr Glas anheben die Ohren unauffällig zuzuhalten. Ich merke wie ich immer trauriger und angespannter werde. Mein Sitznachbar schwenkt seit einer Minute seinen Wein im Glas und nippt ab und zu dran. Ich übersehe einen Schluck und spüre die volle Ladung meiner Miso-Reaktion. Diesen Moment kann ich leider nicht genau beschreiben. Auch in der Therapie haben wir oft versucht diesen Moment genau zu fassen, aber was dann in meinem Körper passiert ist nicht in Worte zu fassen. Nach dem Essen genießen alle noch ihre Getränke und essen ihren Nachtisch. Die Situation ist für mich schon längst zu viel, aber ich weiß auch nicht wie ich diese Situation höflich beenden kann, da ich schließlich extra zum Essen eingeladen wurde.

Jetzt mal in vier Bilder zusammengefasst:

  1. Ich bin schon vor dem Treffen nervös und angespannt. Ich frage mich wie der Abend wird und merke, wie ich schon jetzt schlecht gelaunt werde bei der Vorstellung des Schmerzes den ich gleich ertragen werde. Meine Angst beginnt also schon bevor ich beim Essenstisch sitze. Foto von Dương Nhân von Pexels (Foto von Dương Nhân von Pexels)

  2. Ich werde viel getriggert und bin extrem angespannt, wütend und möchte allen anderen im Raum am liebsten meine Wut zeigen. Foto von Andrea Piacquadio von Pexels (Foto von Andrea Piacquadio von Pexels)

  3. Ich ziehe mich (z.B. ins Bad) zurück. Ich fühle mich alleine in dieser Wut und Hilflosigkeit. Ich habe das Bedürfnis mich aus der Situation rauszuziehen, möchte mich aber auch nicht isolieren. Foto von Kat Jayne von Pexels (Foto von Kat Jayne von Pexels)

  4. Ich bin wie ausgelaugt. Das Essen ist vorbei und ich bin wieder zu Hause. Ich kann nicht weinen, mich nicht konzentrieren, die Gräusche wiederholen sich teilweise in meinem Kopf. Ich bin frustriert über die ganze Situation. Ich bin nicht mehr in der Lage ein falsches Lächeln aufzusetzen damit keiner etwas merkt. Die Maske die ich die ganze Zeit getragen habe fällt schwer von meinem Körper und ich falle vor Schwäche in mir zusammen. Foto von Sharon McCutcheon von Pexels (Foto von Sharon McCutcheon von Pexels)

Das ist nur eine der möglichen Varianten und ist natürlich nicht immer so. Außerdem kann die Triggerreaktion bei jedem anders sein. Wenn ich bei 3. angekommen bin, weiß ich bereits, dass es Zeit ist notfalls zu gehen, da 4. nicht mehr weit weg ist. Das Gefühl bei 4. finde ich am beängstigsten von allen, da ich eigentlich ein total energischer und aktiver Mensch bin. Mittlerweile kann ich mit solchen Situationen schon deutlich besser umgehen, aber dazu ein anders Mal mehr.

Tipp:

Finde heraus wo deine Stufen sind. Ich habe die Stufen nicht immer klar vor Augen, aber mit der Zeit habe ich immer besser gelernt auf meinen Körper zu hören und notfalls halt mal beim Familienessen früher zu gehen. Ich habe mir vorgenommen die vierte Stufe bestmöglichst zu verhindern. Ich kann mich nicht vor jeder Situation schützen und das möchte ich auch nicht immer. Aber ist einmal diese Gefühlstaubheit erreicht, ist definiv eine Grenze überschritten. Mache dir also klar, bis zu welcher Stufe du bereit bist zu gehen. Beobachte dich doch mal etwas distanzierter (sofern möglich) in Triggersituationen, oder reflektiere die Situation nacher. Wo genau spannen sich deine Muskeln an? Fängst du an zu schwitzen? Wie gut kannst du dich noch konzentrieren? Kriegst du eher Angst, Panik, Wut,… Wo ist deine oberste Grenze bis es zum Überschreiten der Toleranz kommt? Wie lange brauchst du um dich von einer Überschreitung dieser Grenze zu erholen?