Geschmacklos - Zum Kotzen
Geschrieben am 30.10.2021 von AmyNach dem Essen
Im letzten Post ging es um meine Schuldgefühle nach dem Essen und das Gefühl von Kontrolllosigkeit, welches ich beim Essen empfinde. Verschiedene Faktoren führen dann häufig dazu, dass ich mich überfresse. Erstens der Stress, also dass ich vor lauter Anspannung mich versuche durch’s Essen zu beruhigen. Dann, dass meistens nach dem Essen viele an ihren Getränken nippen, also die schlimmste Zeit beim Essen. In dieser Zeit versuche ich mich dann immer noch abzulenken, bin aber da schon meistens total vollgestopft und fühle mich dadurch noch unwohler in meinem Körper. Und zuletzt kann ich mich beim Essen ein wenig zurückziehen. Wer nicht isst unterhält sich häufig, jemand der isst wirkt wenigstens noch beschäftigt. Da ich beim Essen aber häufig schon in Angst oder Trauer verfalle oder unauffällig weine, ist es natürlich “einfacher” einfach so zu tun, als würde ich ganz beschäftigt essen, um unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen.
Es gibt also viele Gründe, warum ich manchmal einfach nicht aufhören kann zu essen. Ich esse liebend gerne Salat, weil es mich irgendwie beruhigt. An Salat kann man sich nur schwer überfressen, beim Essen ist es laut, so dass ich weniger von der Umgebung mitbekommen und es schmeckt einfach gut. Außerdem esse ich nach dem Essen fast immer eine Zitrone, weil es mir irgendwie entgegen meinem super unwohlen, ekeligen Gefühl, ein Gefühl von frische und Kontrolle gibt.
Zum Kotzen
Doch häufig helfen diese Strategien leider auch nicht immer. Besonders wenn ich mit sehr vielen Menschen zusammen esse, ist der Fluchtort Nummer Eins immer das WC. Und das hat so einige Nachteile. Ich kann erstens nicht ewig dort bleiben, weil das natürlich irgendwann auffällt. Das WC ist auch immer der Zufluchtsort, wo ich meinen ganzen Hass rauslasse und mich in ganz stressigen Situationen selbst verletzte. Und dann drückt mein Bauch immer so unangenehm… Meine Therapeutin brachte es einmal gut auf den Punkt: Durch das Essen in Triggersituationen nehme ich durch jeden Bissen auch immer die Gefühle mit in mich auf. Ich esse also symbolisch meine schlechten Gefühle auf. Und genauso fühle ich mich danach auch immer. Elend vollgestopft und ekelig. Mein Drang, dieses Gefühl loszuwerden, verwandelt sich dann schnell in das Gefühl, alles auskotzen zu müssen. Bis jetzt konnte ich noch immer recht gut widerstehen, aber es ist ein Kampf, den ich kaum in Worte fassen kann. Da ich sehr früh eine gute Freundin fast an einer Essstörung verloren habe, bin ich mir sehr der Gefahr dieses Verhaltens bewusst, weshalb ich bis jetzt auch immer widerstehen konnte. Aber trotzdem ist es immer noch ein Kampf für mich. Besonders wenn ich bei zu starken Stresssituationen kaum noch rational denken kann und ich mich emotional häufig immer mehr von mir und meinen Werten entferne.
Salat und Zitronen
Ich habe wie immer kein perfekte Lösung für das Problem, aber hier ein paar Sachen, die mir bis jetzt gut geholfen haben gegen das Gefühl anzukämpfen, mich übergeben zu müssen:
- Nicht immer auf’s Klo flüchten. “Ich muss nur mal kurz an die frische Luft.” klappt häufig auch ganz gut.
- Gebet natürlich. Gott weiß genau wie ich mich fühle.
- Eine Essstörung würde alles nur noch schlimmer machen! Das klingt jetzt vielleicht nicht so krass, aber der Gedanke, dass ich mit einem weiteren Problem mit dem Essen auch nicht weiterkomme, hat tatsächlich schon viel verhindert.
- Sport als Ausgleich. Auch dort muss man sehr aufpassen, da Sport auch zu einer Sucht werden kann. Aber der Sport hilft mir nicht nur, meine Aggressionen abzubauen, sondern gibt mir zudem auch das Gefühl, nicht ganz so machtlos gegen das Gefühl der Überfressenheit zu sein.
- Salat und Zitronen. Finde ein Essen was dich auch “beruhigt” und zu vielen Mahlzeiten passt.
- Musik beim Essen ist natürlich immer gut!
- Dann natürlich ganz grundlegende Tipps wie das Kommunizieren über die Misophonie im engsten Umfeld, “Trinkfreie Zeiten” beim Essen vorzuschlagen oder erst später zum Essen dazu zu kommen, um die Zeitspanne der Triggerung zu verkürzen, …
- Und ganz besonders, mich beim Essen zu spüren. Als MisophonikerIn versucht man bestmöglich, sich von dem Schmerz zu distanzieren und distanziert sich dabei aber auch von allen anderen Gefühlen. Also auch von der Wahrnehmung, gerade etwas zu essen. Je mehr ich also wieder einen Zugang zu meinem Körper finde, desto weniger verfalle ich unkontrolliert in mein Stress-Essverhalten. Und umso geringer ist der Drang nach dem Essen, alles wieder loszuwerden.